Friedensstadt Glau
Die Friedensstadt Glau um 1930
Eine FRIEDENSSTADT entsteht
Text: Gunnar Pommerening
Der Gründer und Erbauer der Friedensstadt, Joseph Weißenberg (1855-1941), prophezeite seinen Anhängern die herannahende Inflation mit den Worten: „Das Geld geht auf null, bringt mir euer Geld, ich will es euch erhalten.“
Er gründete eine Genossenschaft, die christliche Siedlungsgenossenschaft Waldfrieden und erwarb 1920 den Gasthof Waldfrieden in Blankensee und rund 400 Hektar Ödland am Fuße der Glauer Berge und in der näheren Umgebung.
Zum ersten Spatenstich am 19. Dezember 1920 beim „Haus zum Grundstein“ kamen mehrere hundert Anhänger, um diesem Ereignis beizuwohnen.
Inmitten des wirtschaftlichen Niedergangs und großer materieller Not blühte ein Gemeinwesen auf, das von der Begeisterung und der Opferbereitschaft seiner Einwohner und Miterbauer getragen wurde.
In nur 15 Jahren Bauzeit (1920-1935) entstanden etwa 40 Gebäude für ca. 400 Bewohner: Wohnhäuser, Schule, Altersheim, Landwirtschaftsbetrieb, Werkstätten, das Heilinstitut, die Kirche auf dem Waldfriedengelände und anderes. Die Friedensstadt wurde damit eine der größten und modernsten Privatsiedlungen Deutschlands.
Die Friedensstadt sollte zu einem Ort werden, in dem versucht wird, die Botschaft der Bergpredigt Jesu in die Tat umzusetzen. Hilfsbedürftige und Schwache sollten Wohnung, Arbeit und Geborgenheit sowie auch Heilung von körperlichen und seelischen Leiden finden.
Unter dem NS-Regime fand der Aufbau ein jähes Ende: Am 17. Januar 1935 wurde die Johannische Kirche verboten, Joseph Weißenberg und seine engsten Mitarbeiter wurde verhaftet, das Kirchenvermögen beschlagnahmt. Ende 1938 übernahm die SS das Gelände. Auf einem Teil des Geländes befand sich eine Außenstelle des KZ Sachsenhausen.
Im April 1945 besetzte die sowjetische Armee die Friedensstadt, die kurz vorher von der SS fluchtartig verlassen worden war.
Bis zum Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1994 war die Garnison Glau ein eingezäuntes und streng gesichertes militärisches Objekt. Zivile Personen hatten normalerweise keinen Zutritt.
Die Bemühungen der Johannischen Kirche, die Siedlung Friedensstadt nach 1945 wieder zu erlangen, scheiterten am Widerstand der sowjetischen Besatzungsmacht und am Desinteresse der DDR-Regierung.
Arbeiter vor dem Glauer Hof
Der Glauer Hof
Die Bautischlerei
Das Heilinstitut
Der Lindenhof
Die Schule
Garnison Glau
Von April 1945 bis zum Juni 1994 war die russische Armee Hausherr in der Friedensstadt. Die dort rund 1500 bis 2000 stationierten Soldaten der Garnison Glau gehörten zu einer Pionier- und Raketeneinheit.
Das hermetisch abgeriegelte und gesicherte Militärobjekt war für Zivilpersonen in der Regel nicht zugänglich. Die dort errichteten Plattenbauten und die Umgehungsstraße entstanden Anfang der 70iger Jahre.
Eine neue Kläranlage für etwa 2000 Einwohner kam Anfang der 80iger Jahre dazu. Pfingsten 1981 konnten das Oberhaupt der Johannischen Kirche Frieda Müller und ihre Tochter Josephine erstmalig die Friedensstadt betreten, um an der Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten einen Kranz niederzulegen und dort zu beten.
Frieda Müller sagte einmal dazu: „Wenn ich erst einmal einen Fuß in die Friedensstadt setzen kann um dort ein Vaterunser zu beten, wird sich die Weltpolitik ändern!“
1984 kam Michael Gorbatschow an die Macht und brachte Glasnost, und 1989 fiel die Berliner Mauer.
Mit der Wiedervereinigung Deutschlands zeichnete sich auch ein Weg zur Rückgabe der Friedensstadt an die Johannische Kirche ab.
Am 29. März 1994 war die offizielle Verabschiedung der russischen Armee. In einem feierlichen Akt überreichte Generalleutnant Svetkow dem Oberhaupt der Johannischen Kirche Josephine Müller symbolisch den Schlüssel zur Friedensstadt.
Am 14. Juni 1994 wurde das Rückgabeprotokoll vom Bundesvermögensamt und dem Kirchenoberhaupt unterzeichnet.
Die Johannische Kirche erhielt damit ihr Eigentum zurück.
Abschied Garnison, Glau, 29. März 1994
Friedensstadt Weissenberg
Mit der Rückgabe der Friedensstadt an die Johannische Kirche 1994 beginnt ein neuer Abschnitt für die zukünftigen Bewohner der Siedlung und die Mitglieder der Kirche. Es gilt, den Weg ihres Gründers fortzusetzten und weiterzuführen - ein Mehrgenerationenprojekt.
Nahezu 60 Jahre militärische Fremdnutzung hatten in der Friedensstadt deutliche Spuren hinterlassen. Viele Gebäude befanden sich zum Zeitpunkt der Rückgabe in einem sehr schlechten Zustand. Zu den ersten Aufgaben gehörten daher die Gebäudesicherung und der Aufbau der technischen Infrastruktur (Strom, Wasser, Wärme etc.). Diese Arbeiten sind bis heute noch nicht abgeschlossen.
Schon ein Jahr später konnte das erste Wohnobjekt bezogen werden und die beiden ersten Geschäfte der Ladenzeile wurden eröffnet.
1996 folgte das Heilinstitut als Ärzte- und Gesundheitshaus mit seinen verschiedenen Angeboten.
Weitere Gebäude wurden rekonstruiert, saniert und bezogen sowie die technische Infrastruktur und das Fernwärmenetz weiter ausgebaut und entwickelt.
Inzwischen sind beinahe 20 Jahre Aufbauarbeit Friedensstadt vergangen und zur Friedensstadt sind zusätzliche Flächen durch Kauf hinzugekommen. Mit der Beräumung des Technikgeländes West werden die Grundlagen für eine große Photovoltaik Freiflächenanlage geschaffen.
Mit den Abrissarbeiten der letzten militärischen Hinterlassenschaften auf dem Technikgelände Ost ist bereits begonnen worden.
Zu Beginn des Jahres 2013 lebten in der Friedensstadt Weißenberg, so der offizielle Name, etwa 400 Menschen in 260 Wohnungen.
Es soll dort wieder ein vorbildliches Gemeinwesen auf christlich-sozialer Grundlage entstehen, das allen Menschen offen steht.
Das Heilinstitut
Der Glauer Hof
Frieda-Müller-Haus
Das Garagenhaus
Die Ladenzeile
Aktuelle Fotos: © Gunnar Pommerening